Es tut immer weh, einen Menschen gehen zu lassen. Vor allem, wenn er so ein Mensch war und ist, wie du einer bist. Mein ganzes Leben lang warst du immer an meiner Seite und soviel mehr als nur eine Großmutter. Du warst Freundin, Zuhörer, Financier und Gutmensch in einer Person vereint. Nicht ohne Grund nannte dein Mann dich immer nur liebevoll „Mäm“. Denn du hast dich immer um alles und um jeden gekümmert, dich aufgeopfert und dich schützend vor uns gestellt. Und das alles, ohne auch nur ein einziges Mal aufzurechnen. Für dich war unser zufriedenes Lächeln schon Dank genug und deine gottgegebene Aufgabe zu 100% erfüllt.
Liebe ging bei dir durch den Magen
Ich weiß noch genau als wäre es gestern gewesen, wie wir uns als Kinder jeden Sonntag um 8Uhr in der Früh auf den Weg zu dir machten. Denn nur bei dir konnten wir Metti und den Lila Laune Bär im „Westfernsehen“ ansehen, weil die Eltern noch lange nach der Wende lediglich über eine alte Schwarz-Weiß-Röhre mit nur drei Sendern verfügten. Dann saßen wir bei dir, die Füße vom Sofa baumelnd und haben Weißbrot dick mit Quark und Marmelade oder Nutella bestrichen in uns hinein gestopft. Glückseligkeit konnte man bei dir vor allem schmecken. So war es immer ein Löffel Milchpulver, der eigentlich für den Kaffee gedacht war, aber pur so viel besser schmeckte. Von deiner Backkunst ganz zu schweigen. Wie werde ich an den noch folgenden Festtagen deine süßen Naschereien vermissen. Es verging kein Geburtstag und kein Weihnachten, an dem nicht eine deiner Schwarzwälder Torten oder eine riesige Dose Vanillekipferl auf dem Tisch stand. Auch die Keksdose bei dir im Wohnzimmerschrank war immer prall gefüllt. Nur durch dich und deinen Vorratsschrank habe ich weiße Schokolade erst kennen und dann lieben gelernt. Und dem ganzen nicht genug, durfte ich das alles immer mit einem großen gelben Plastikbecher voller Milch hinunterspülen. Noch jetzt klingen mir deine warnenden Worte im Ohr: „Trink die kalte Milch nicht so hastig, der Opa hat dadurch ein ganz schlimmes Magengeschwür bekommen“.
Ironie war deine Wahrheit
Du hast mich gelehrt, die Welt mit anderen Augen zu sehen und sie nicht allzu ernst zu nehmen. Selbst als ich in der Spielwarenabteilung geklaut hatte, hast du mich nicht ausgeschimpft, sondern bereitwillig die 100,- Mark Strafe für mich gezahlt und gegenüber den Eltern kein Sterbenswort verloren. Durch dich habe ich gelernt, wie wichtig es ist, gegen den Strom zu schwimmen und trotzdem nie die Zuversicht zu verlieren. Selbst vor Verboten hast du nie Halt gemacht und wider allem Ernst immer einen ironischen Spruch auf den Lippen gehabt. Meinen ersten Game Boy brachtest du mir ins Krankenhaus und hast gemeint, dass ich es den Eltern nicht sagen solle, weil das sonst ihre Autorität untergraben könnte. Verstanden habe ich das damals nicht, aber recht bald erkannt, dass man sich eben manchmal über die Meinung anderer hinwegsetzen muss. Und ich könnte noch so viele Dinge aufzählen, in denen du gemacht hast, was du wolltest. Aber nicht, um den Revoluzzer zu spielen, sondern um anderen vollkommen selbstlos zu helfen.
Du gehst und wir vermissen
Ich werde deine Anrufe vermissen, die mich immer gerade dann aus dem Bett emporschrecken ließen, wenn ich mal wieder bis spät in die Nacht gefeiert hatte. Ich werde deine kleinen Briefumschläge vermissen, die du uns Kindern immer mit den Worten „lieber aus einer warmen, als aus einer kalten Hand“ heimlich zugesteckt hast. Ich werde deine zynischen Sprüche vermissen, deine kleinen Büchlein und ausgeschnittenen Horoskope, die deiner Meinung nach soviel Wahrheit in sich tragen. Ich werde deine homöopathischen Mittel vermissen, die du immer griffbereit hattest. War ich auch nur ein bisschen blass um die Nasenspitze, fielen auch schon die kleinen zuckersüß schmeckenden Kügelchen in die offene Hand. Ich werde die Lotto-Scheine vermissen, die ich immer voller Vorfreude mit dir vorm Fernseher mit den gezogenen Zahlen verglich. Ich werde so vieles vermissen, weil es Teil meines Lebens geworden und nun nicht mehr da ist.
Wir haben deine Botschaft verstanden
Du hast viel mit Gott gehadert und ihn ein ums andere Mal gefragt, wieso er immer gerade dich mit all den gesundheitlichen Sorgen bedacht hat. Aber zur Last bist du deswegen noch lange keinem gefallen. Dreimal hast du dem Sensenmann ein Schnippchen geschlagen und bist ihm noch einmal von der Schippe gesprungen. Für mich warst du im wahrsten Sinne des Wortes einfach nicht tot zu kriegen. Ganz Anita hast du dann immer nur lakonisch gemeint „Unkraut vergeht nicht und außerdem will ich den Alten noch überleben, sonst macht der mit meinem Geld, was er will“. Dabei hast du Opa so abgöttisch geliebt, wie er dich auch. Denn wer es 50 Jahre lang miteinander aushält, muss zumindest ansatzweise einen Narren aneinander gefressen haben. Und gerade deshalb werden dich dein Heini und viele andere so unendlich vermissen, denn schließlich bist du die mit Abstand treueste und selbstloseste Seele gewesen, die ich kenne. Selbst in deiner letzten Stunde hast du all deinen Liebsten noch die Chance gegeben, dass sie ein letztes Mal mit dir reden und Stück für Stück von dir Abschied nehmen konnten. Bis zum letzten Atemzug hast du somit das gelebt, was dein ganzes Leben geprägt hat – Nächstenliebe. Und mit Sicherheit wirst du auch dort oben, dieses Credo weiter verfolgen und dem lieben Gott mit deiner ehrlichen Art ordentlich Feuer unterm Hintern machen. Getreu deinem Motto: „Ich wurde geboren, ohne gefragt zu werden und ich werde sterben, ohne gefragt zu werden. Nun lasst mich wenigstens mein Leben leben, wie ich es will.“