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Was manfür läppische 20 Euro nicht so alles erleben kann, das durfte ich an diesem Wochenende erst wieder einmal feststellen. Wozu in die Theater und Lichtspielhäuser gehen, wenn die Weltbühnen nach langer Winterpause in den städtischen Straßen wiedereröffnet werden. Bühnen mit äußerst authentischen Darstellern, die ihr Fach verstehen und dafür noch nie eine Schauspielschule besucht haben.

So fuhr ich denn mit dem Expresszug gen Nürnberg, quer durchs langsam auftauende Frankenland. So „schnell“, dass ich locker eine gesamte Zeitung von hinten bis vorne durchlesen – ich muss dazu sagen, dass ich Zeitungen immer vom Klatsch zum Ernsten lese, damit ich den Ernst des Lebens mit Humor nehmen kann – und zwei Sudoku Rätsel lösen konnte. In der Stadt der Lebkuchen angekommen, verschlug es mir bereits beim Verlassen des Abteils das erste Mal die Sprache, als eine wild gestikulierend telefonierende, türkische Barbie meinen Weg kreuzte. Glitzerhandy am Ohr entstieg sie divenhaft dem Zug, stolperte unbeholfen auf ihren Storchenstelzen umher und zupfte sich unentwegt den viel zu kurz geratenen Mini-Rock zurecht. Ich stellte mir nur eine Frage: Wieso müssen Menschen, die von Haus aus eine dunklere Hautfarbe als wir Normaleuropäer besitzen, trotzdem ins Solarium und das Gröbste mit Makeup förmlich zukleistern? War dies die Vorwarnung für das , was mich da im Stadtzentrum noch erwarten sollte?

Gottlob nein. Eine schöne Altstadt bietet die heimliche Hauptstadt der Franken. Über der Stadt thront die Kaiserburg und ein gigantisches Monument aus nationalsozialistischer Zeit erinnert irgendwie an das Koloseum in Rom. Ein damals vielleicht nicht ganz ungewollter Zufall. Im Zentrum hockt zudem ein goldener Brunnen, an dem zwei abgegriffene Ringe hängen, die nach mehrmaligem Drehen einem sowohl Glück als auch Pech verheißen, je nachdem, welchen der beiden Ringe man nun gerade erwischt hat. Doch welcher nun genau der richtige bzw. falsche war, konnte ich leider nicht herausfinden. Jedenfalls schien auch jener edle Ritter den richtigen Ring berührt zu haben, dessen Pferd bei seiner Flucht vor dem Henker in der Burgmauer einen tiefen Hufabdruck hinterließ.

Dort saß ich denn nun in der Sonne und beobachtete die Wolken. „Komisch, die Wolken sehen irgendwie künstlich aus“ sagte ich so vor mich hin, als ein neben mir sitzender Mann sich unaufgefordert zu mir wandte und mir den Himmel erklärte. Von Wolken kamen wir zu seiner Geschichte – wie es der Zufall will, war auch er ein Jenenser – redeten über Werdegang und Berufung, um vermutlich am Ende in das eigentlich von ihm angestrebte Thema einzutauchen. Die Wolken wie ich sie dort sehen würde, seien gar keine Wolken, sondern mit Silber-Ionen angereicherte Ausstöße von Flugzeugen, die uns alle krank machen würden. Angeblich würde die Menschheit bald zugrunde gehen, denn die Regierungen der Welt haben sich gegen die Bevölkerung der Erde verschworen und planen den Genozid. In geheimen Projekten sollen angeblich Tsunamis, Erdbeben und andere Naturkatastrophen bewusst von Menschenhand gesteuert und ausgelöst worden sein. Just in dem Moment entwickelte sich das Gespräch zum Monolog. Er sprach von jüdischer Verschwörung und Weltuntergang. Ein Grund mehr, ihn sofort nicht mehr ernst zu nehmen. Schon sonderbar wie man das Thema von Wolken, über Jena, Tontechnik und Reisen auf einmal in Richtung Apokalypse lenken kann. Er schloss seine Verschwörungstheorie mit einem mir unbekannten Zitat: „Wenn Ihr Eure Augen nicht benutzt um zu sehen, werdet Ihr sie brauchen um zu weinen” und ging, wobei sein Rucksack verdächtige Klimpergeräusche aneinander schlagender Flaschen von sich gab. Wie sich nach meiner Recherche im Internet herausstellte, kann dieser  Spruch auf einen nationalsozialistischen Hintergrund zurück geführt werden. Gut, dass der unscheinbare Kerl seinen Missionarsgang alsbald fortsetzte und mich wieder mit der Sonne und den zierlichen Schleierwolken allein ließ.

Danach ging es wieder zurück zur Pegnitz, dem beschaulichen Flüsschen, dass nicht ungern auch einmal im Zuge der Schneeschmelze zum reißenden Strom anschwillt und die gesamte Stadt unter Wasser setzt. In einem winzig kleinen Café holte ich mir dann einen winzig kleinen Capuccino und hockte mich nahe der Fleischbrücke auf die „Starbucks-Promenade“ und beobachtete belustigt die Schickeria von Nürnberg. Allein an der Zahl der kleinen Kinder kann man hier ablesen, dass es den Bürgern dieses Städtchens nicht gerade schlecht zu ergehen scheint. Von Wirtschaftskrise weit und breit keine Spur. Zumindest sind alle Kids adrett gekleidet und wie kleine Erwachsene bis aufs kleinste Detail durchdesigned. Da passt die Hose zum Schuh und das Jäckchen zur Farbe der Mütze. Wolfgang Joop hätte mit Sicherheit seine pure Freude an diesem Anblick gehabt. Immer mehr Eltern und mit Einkaufstüten beladene metrosexuelle Kerle stürmten den Plaza und allmählich wurde es eng auf dem Rinnstein. Dadaurch war es unvermeidbar ein paar Gespräche zu belauschen. Den für meine Begriffe komischsten Versuch, ein Kind bei Laune zu halten und die Aufmerksamkeit der Mütter und der um ihn herum sitzenden Damen zu erhaschen, unternahm ein pomadig glatter Schnösel. Er bot einem zweijährigen Jungen an, doch einmal an seinem Pomadentiegel zu schnuppern. In anderen Ländern wäre er dafür wahrscheinlich wegen sexueller Verführung Minderjähriger in den Knast gekommen. Nunja, um dem ganzen Treiben noch eins draufzusetzen, zog er plötzlich eine Duftprobe aus seinem Douglas-Beutelchen hervor und hielt sie dem überforderten Jüngelchen auch noch unter die Nase. Mama war sichtlich begeistert, freute sich ein Loch in den Bauch und zeigte zu allem Überfluss dem Kleinen auch noch, wie man das vollkommen ungefährliche Sprühwerkzeug benutzt. Ein wahrhaft kindgerechtes Spielzeug. So wurde ich Zeuge des für mich jüngsten Menschen, der jemals mehr oder weniger bewusst Parfüm auf seinen kindlichen Körper sprühte. Andere hingegen konzentrierten sich dann doch auf das kindgerechte Verhalten und feuerten in den Rabatten gefundene Steine in den Stadtfluss, ließen sich durch ihre Eltern schwindelerregend lange im Kreis drehen und tappsten anschließend benommen in der Gegend umher.

Die Kehrseite der Kindheit bzw. die nüchterne Gegenwart präsentierte sich mir dann wieder am Bahnhof, wo rotzbesoffene Jugendliche mit pinkgefärbten Haaren und EMO-Look die Bahnhofshalle als Wohnzimmer und Startrampe zur Nacht okkupierten. Auch ein Betrunkener machte den Eindruck, als würde er die schiefe Bahn, in die er nach dem Flug um sich selbst eingetreten war, an jenem Abend nicht mehr verlassen. Irgendwie konnte ich mir den Vergleich mit den torkelnden Kindern nicht verkneifen und musste schmunzeln. Betrunkene Menschen und Kinder haben scheinbar nicht nur die Gemeinsamkeit, immer ihre ehrliche Meinung kundzutun, sie bewegen sich auch noch in gleicher Form. Am Ende saß ich wieder mit einer Zeitung im Expresszug nach München und ließ den Tag Revue passieren. Ein ereignisreicher Tag und für gerade einmal 20 Euro in den Genuss von ca. 10 Stunden Theater zu kommen, wo bekommt man so etwas heutzutage schon noch geboten!?

28.02.2010

Theater für einen Tag, Weltverschwörung in Nürnberg und parfümierte Zweijährige

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